Mittwoch, 30. Mai 2012

Steffen Roski / Bertelsmann bedient den Milliardenmarkt Bildung


Es gibt aller­dings einen Bereich, der eine bedeut­same Schar­nier­stelle von Stif­tungs– und Kon­zern­han­deln dar­stellt, der also sowohl für die Ber­tels­mann Stif­tung als auch für die Bertels­mann AG von größter ope­ra­tiver Bedeu­tung ist. Der Vor­stands­vor­sit­zende der Ber­tels­mann AG, Hartmut Ost­rowski, sagte be– reits im Juli 2008 in einem Gespräch mit dem Spiegel ganz offen:
»Bil­dung ist in unserer modernen Gesell­schaft ein Mega­trend. Wir wollen im Bereich Wei­ter­bil­dung mehr machen. Wir haben ein Pro­jekt für Online-​Bildung gestartet und beschäf­tigen uns im anglo­ame­ri­ka­ni­schen Raum mit Anbie­tern, die Berufs­aus­bil­dung etwa für Kran­ken­schwes­tern oder Buch­halter anbieten.«
Ein gigan­ti­scher Mil­li­ar­den­markt harrt der Erobe­rung! Die Güters­loher Stra­tegen in Kon­zern und Stif­tung erheben bereits die ent­spre­chenden For­de­rungen, um den Fuß in die Tür des Bil­dungs­marktes zu bekommen.

Jochen Krautz, Pro­fessor für Bil­dungs­wis­sen­schaft an der Bonner Alanus Hoch– schule für Kunst und Gesell­schaft, nennt einige dieser Forderungen:
»Eng­lisch bereits im Kin­der­garten; Lehrer sollen nur befristet ein­ge­stellt und leis­tungs­be­zogen bezahlt werden; nicht nur das Abitur, son­dern fächer­spe­zi­sche Tests sollen die Ein­tritts­karte für die Hoch­schulen sein, mit dem beson­deren Hin­weis, daß diese Tests auch von pri­vaten Testrmen ange­boten werden könnten.
(…) Als wei­tere ›Rezepte‹ sind auch fol­gende Vor­schläge be– kannt: Schulen und Hoch­schulen bräuchten mehr Wett­be­werb und Efzienz, Eigen­stän­dig­keit und Selbst­ver­ant­wor­tung, moderne Manage­ment­me­thoden, Leis­tungs­mes­sungen und Eva­lua­tionen, Bil­dungs­stan­dards und zen­trale Prü­fungen, Sprach­tests im Vor– schul­alter, Ent­rüm­pe­lung der Lehr­pläne, Ver­kür­zung der Schul– zeit, Wirt­schafts­kennt­nisse für alle, neue Lern­formen und vor allem Lap­tops für jeden Schüler.«
Die Ber­tels­mann Stif­tung kommt ihrer Rolle als Weg­be­rei­terin des Medien– und Dienst­leis­tungs­kon­zerns Ber­tels­mann AG nach, in dem sie ein ökono­mis­ti­sches Bil­dungs­ver­ständnis in der erzie­hungs­wis­sen­schaft­li­chen Theorie und in der päd­ago­gi­schen Praxis sowie in der bil­dungs­po­li­ti­schen Debatte gezielt an die Macht putscht. Ber­tels­mann macht Schule!

Und dies auf zwei­erlei Weise:

Einmal ganz unver­blümt und direkt, wenn sie sich – im Ver­bund mit anderen Stif­tungen wie der Initia­tive Neue Soziale Markt­wirt­schaft und dem Bun­desver– band der Banken – für die »ökono­mi­sche Bil­dung« stark macht. Der Erzie­hungs– wis­sen­schaftler Rein­hold Hedtke berichtet bei­spiels­weise, daß die Ber­tels­mann Stif­tung eine Unter­richts­reihe aus­ge­rechnet zum Thema Urhe­ber­recht finan­ziert hat. Hier arbeitet sie direkt der Ber­tels­mann AG zu, die mit dem Rech­te­handel viel Geld verdient.

Weit bedroh­li­cher erscheint mir aller­dings die Tat­sache, daß es der Ber­tels­mann Stif­tung gelungen ist, über die Pro­mo­tion von Unter­richt­s­tech­niken »mit Methode« in den Schul­un­ter­richt vor­zu­dringen. So wurde bereits im Jahre 1996 der kana­di­sche Schul­be­zirk Durham in der Nähe von Toronto/​Ontario mit dem Carl-​Bertelsmann-​Preis der Ber­tels­mann Stif­tung aus­ge­zeichnet als der »inno– vativste Schul­be­zirk der Welt«. Geehrt wurde vor allem »der Motor hinter die– sem unge­heuren Ent­wick­lungs­prozeß«, Norm Green.

Er struk­tu­rierte den Rahmen für ein umfas­sendes Aus­bil­dungs­pro­gramm aller Lehrer in diesem kana­di­schen Bezirk. Im »Schnee­ball­system« imple­men­tierte Green in den fol­genden Jahren das koope­ra­tive Arbeiten (Coope­ra­tive Learning) sowohl in den Klas­sen­zim­mern wie auch in den Leh­rer­zim­mern der Region Dur– ham. 1996, nach der Ver­lei­hung des Carl-​Bertelsmann-​Preises, holte die Ber– tels­mann Stif­tung Green mit seinen kana­di­schen Mit­strei­tern zu Vor­trägen und Lehr­gängen nach Deutschland.

Seit dem Jahr 2000 gibt es wohl kein Stu­di­en­se­minar in diesem Land mehr, das den ange­henden Jung­leh­rern nicht die Seg­nungen des koope­ra­tiven Ler­nens preist. Rainer Dol­lase, Päd­ago­gik­pro­fessor aus Bie­le­feld, beob­achtet seit lan– gem diese Ent­wick­lung kri­tisch und merkt an:
»Auch im Lande NRW hat man hin und wieder den Ein­druck, daß die Ver­bin­dung der Ber­tels­mann Stif­tung mit dem Schul­mi­niste– rium (…) gegen kri­ti­sche Bemer­kungen inqui­si­to­risch ver­tei­digt werden und daß die Schul­auf­sicht hin und wieder reni­tenten Lehr­kräften mit Kon­se­quenzen droht, wenn sie sich nicht an den betref­fenden Pro­grammen betei­ligen.«
Und Reni­tenz ist angebracht.

Der »Witz« des »koope­ra­tiven Ler­nens« ist näm­lich dieser – und wer weiß das schon? –, daß Green in den 80er und 90er Jahren die Manage­ment– und Team-​bildungsmethoden des damals größten Arbeit­ge­bers, General Motors, in die Schulen seines Distrikts hin­ein­ko­piert, sie gleichsam »päd­ago­gi­siert« hatte. Der Effekt für GM: »Human­ka­pital« wurde an den Schulen her­an­ge­bildet, das sich nahtlos in die Arbeits­struk­turen des Auto­mo­bil­bauers inte­grieren ließ.
Geflis­sent­lich aus­ge­blendet werden von den Prot­ago­nisten des »koope­ra­tiven Ler­nens« die größten Leh­rer­streiks der nord­ame­ri­ka­ni­schen Geschichte, die sich in Ontario, Kanada, im Jahre 1997 gegen eben diese neo­li­be­rale Schul­re­form richteten.

Fazit: Der Bil­dungs­be­griff à la Ber­tels­mann ist funk­tio­na­lis­tisch und auf die Be– dürf­nisse der modernen Indus­trie aus­ge­richtet. Daß aus­ge­rechnet die GEW Hand­rei­chungen zum »koope­ra­tiven Lernen« her­aus­gibt, ist dabei eine Pointe, über die zu lächeln ich mich weigere.

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