Dienstag, 11. September 2012

Iris Radisch: Ist das so gut wie Balzac?

Und nun das: 343 Seiten, ein Held mit kantigem deutschen Namen, Immobilienbesitz, Ehefrau, Auto, Vermögensberater und Firmenjet. Mit Johann Holtrop, Topmanager, Vorstandsvorsitzender einer weltweit agierenden Familienfirma, der Assperg AG, soll ein Zeitalter besichtigt werden, ein System, ein Bewusstseinszustand, eine Existenzweise, ein Prototyp, ja, warum nicht: Eine ganze Gesellschaft soll sich am Beispiel dieses Joahnn Holtrop zu erkennen geben. Gemessen daran hat ein Autor wie Thomas Mann über Petitessen geschrieben.
Goetz geht mit dieser Schlüsselfigur ein hohes Risiko ein. Damit die Wette gilt und in Holtrop der Irrsinn einer Epoche zum Ereignis wird, darf dieser Holtrop keine irgendwie am Schreibtisch in Berlin-Mitte zusammengebaute Type sein. Ist er auch nicht. Goetz scheut keine Mühe, seinen Helden dem realen Vorbild so lebensecht wie möglich nachzuschnitzen. Für ein derartig enges Vertrauensverhältnis zwischen der schönen Literatur einerseits und der schmutzigen Wirklichkeit andererseits gibt es nicht viele Vorbilder in der deutschen Literatur, die üblicherweise eine eskapistische Vorliebe für idiosynkratische Sonderlinge pflegt, in denen die Autoren sich selber wiedererkennen. Holtrop jedoch ist kein weiteres armes Lämmchen, mit denen die Literatur schon so überreich gesegnet ist. Er ist ein Täter, ein mächtiger, ein gruseliger Mann, in dem man den ehemaligen Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff wiedererkennen kann und auch soll.
(Aus: Die Zeit, 6. September 2012, S. 49)

Der Auszug aus der Rezension bezieht sich auf das Buch:

Rainald Goetz, "Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman". Berlin: Suhrkamp, 2012, Ln., 343 Seiten, 19,95 €


Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

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