Montag, 23. September 2013

ag "du bist bertelsmann": Bertelsman​n und die "Selbstfüh​rung"- notwendige Gewerkscha​ftskritik

Bertelsmann war Hauptmotor, die unten im Text von Werner Rügemer angesprochenen Prinzipien der "Selbstführung"   in den öffentlichen Dienst und das Bildungswesen hineinzubringen. Sie wurden ab 1993  scheinprogressiv als "bottom up"-Reform verkauft.  Gewerkschaftsführungen, vor allem Verdi, haben den neuen Führungsprinzipien, die mit den Privatisierungen direkt gekoppelt waren,   in den 90er Jahren mit wenigen rühmlichen Ausnahmen einiger GEW-Führungen in Niedersachsen, Bremen und Hamburg nichts entgegengesetzt.  Daher kommt  die Aufarbeitung von Werner Rügemer  historisch verspätet, der Prozess lief schon vor 20 Jahren an und war vor ca. 10 Jahren weitgehend durchgesetzt.

Jetzt stellt sich die Anschluss- Frage, wie  sich  in Zukunft  Widerstand von unten  angesichts des Co-Managements der DGB-Spitzen und führender Betriebs- und Personalräte  nicht nur punktuell in Einzelkonflikten, sondern grundsätzlich neu orientiert. Die  Zeiten der Sozialpartnerschaft sind unter den gegebenen Voraussetzung vorbei. Das "Union Busting", also der aus den USA kommende Versuch, den Einfluss sogar der kooperierenden Gewerkschaften zu beseitigen, wird deswegen noch interessant werden.

Dass die DGB-Gewerkschaftsführungen hauptsächlich der Produktivität des Exportsektors der Wirtschaft verpflichtet sind und erst in zweiter Linie die Interessen der Beschäftigten vertreten, wurde zuletzt beim Leiharbeits-Tarifvertrag deutlich: http://www.labournet.de/politik/alltag/leiharbeit/leiharbeit-gw/niedriglohn-per-tarifvertrag-schluss-damit-wir-fordern-das-ende-von-dgb-tarifvertragen-in-der-zeitarbeit/?cat=6757 .

Ebenso bei der katastrophalen Politik der  IG BCE beim Neupack-Streik in Hamburg und Rotenburg. Zu letzterem siehe die Aufarbeitung:

http://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/der-neupack-streik-eine-kurze-analyse/     (fb)

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junge welt 17.09.2013

Unterwerfung als Freiheit


Hintergrund. Die wissenschaftliche Disziplin »Human Resources« bestimmt die Personalpolitik der Konzerne. Angestellte werden zum Unternehmer in Sachen eigener Arbeitskraft erklärt

Von Werner Rügemer

Die »Ich AG« aus dem Hartz-Gesetz II schien vielen recht kurios: Arbeitslose sollten ein Unternehmen gründen und mit Hilfe eines Zuschusses vom Jobcenter Selbständige werden. Sie wurden auch als Selbst-Unternehmer oder Selbst-Arbeitgeber bezeichnet. Damit sollte die Arbeitslosigkeit bekämpft und es sollte dem Bedarf an kostengünstigen Dienstleistungen entsprochen werden. Die Maßnahme wurde 2006, zwei Jahre nach ihrer Einführung, erfolglos abgebrochen.

Das »Ich-Prinzip«

Trotzdem beherrscht der Grundgedanke der sogenannten Ich-AG das »moderne Personalmanagement«. Er ist das Leitprinzip einer globalen wissenschaftlichen Disziplin und einer Unternehmenspraxis: Human Resources (HR). Thomas Sattelberger, langjähriger Personalchef der Deutschen Telekom, »Leitwolf« der deutschen HR-Szene, hat bereits 1999 die Initiative »Wege zur Selbst-GmbH« gegründet. Die Mitgliederliste spiegelt das Who is Who der deutschen Wirtschaft wider: Deutsche Bank, Telekom, Bayer, Otto. Die Initiative versteht sich als »das innovative Netzwerk von Personalprofis: Unternehmer im System Arbeit«.

HR geht davon aus, daß die Beschäftigten selbst und jeder für sich Unternehmer sind/ist, Arbeitsunternehmer. Dafür sind nicht nur die fachlichen und überfachlichen Qualifikationen wichtig, sondern die »grundsätzlichen Einstellungen und Haltungen« der Persönlichkeit. Hier fehle es bei den Beschäftigten bisher an der »richtigen Einstellung«. Motto: Unternehmen brauchen den ganzen Menschen. Was ist aber mit »grundsätzlich« gemeint, was mit der »richtigen« Einstellung? Die HR-Vertreter wagen es nicht, offen auszusprechen, worum es ihnen geht, nämlich um den Profit der Privateigentümer und die Privilegien des Leitungspersonals.

Es ist ja tatsächlich richtig und notwendig, daß die Beschäftigten von sich aus tätig sein und um ihre Arbeitsbedingungen kämpfen müssen. Das ist insoweit eine elementare, vielfach vergessene Erfahrung der Arbeiterbewegung. Die Beschäftigten müssen sich als Unternehmer verstehen, aber nicht als einzelne Privateigentümer, sondern als assoziierte, gesellschaftliche Unternehmer. Das fängt im Kapitalismus damit an, daß sich die Lohnabhängigen zunächst in den vorgegebenen Formen zusammenschließen und organisieren, als Betriebsräte, Genossenschafter, Gewerkschafter, in Parteien, Vereinen. Das geht logischerweise weiter hin zu Formen des auf die ganze Gesellschaft ausgedehnten Gemeineigentums, zum Sozialismus.

Dagegen behält im HR-Ansatz der »Arbeitsunternehmer« den Status als Lohnabhängiger. Ihm fehlen ja gerade die wesentlichen Eigenschaften des Unternehmers, nämlich über Produktionsmittel, Lohn, Arbeitsbedingungen und Gewinn zu entscheiden.

Man kann den HR-Zentralbegriff »Employability« übersetzen mit »Beschäftigungsfähigkeit«. Der einzelne Angestellte soll sowohl mit den für seine jeweilige Beschäftigung notwendigen fachlichen Qualifikationen wie auch mit der »richtigen« Einstellung ausgestattet sein.

Die »Beschäftigungsfähigkeit« wird mit Hilfe der verschiedensten Test- und Gesprächsmethoden ermittelt. Dabei werden die Angestellten in Leistungsgruppen unterteilt. Entweder machen das die internen Personalabteilungen oder externe Beratungsfirmen. So hat beispielsweise die Boston Consulting Group (BCG) das »People Performance Potential Model« (Modell zur Bestimmung des Arbeitspotentials) entwickelt. Es teilt die Beschäftigten in vier Leistungsgruppen ein:

1. Rising Stars (aufsteigende Sterne): Diese Beschäftigten erbringen den besten »Return on Investment«, d.h. die Investition in ihr Gehalt und in ihren Arbeitsplatz erbringt für die Eigentümer des Unternehmens den verhältnismäßig höchsten Gewinn. Die Personalabteilung soll die Rising Stars frühzeitig erkennen, für den weiteren Aufstieg fördern und an das Unternehmen binden.

2. Workhorses (Arbeitspferde): Sie arbeiten effektiv, sind aber auf dem für sie höchsterreichbaren Niveau angekommen. Sie sollen – bis zum nächsten Test – ohne weitere Maßnahmen auf ihrem Arbeitsplatz bleiben.

3. Problem Children (Problemkinder): Sie sollen weiter getestet werden, um herauszufinden, ob sie erfolgreich gefördert werden können. Wenn nicht, werden sie versetzt oder aus dem Unternehmen entfernt (Exit Business).

4. Deadwood (Totes Holz): Sie sollen umgehend versetzt oder entfernt werden.

Von solchen Leistungsklassifizierungen und -tests kursieren zahlreiche, auch differenziertere Varianten. So werden z.B. mit dem Test DNLA (Discovery of Natural Latent Abilities, Entdeckung natürlicher verborgener Talente) die »menschlichen Potentiale« ausgewählter Zielgruppen für bestimmte Arbeitsplätze erfaßt. Andere Methoden befassen sich mit der Messung der Zufriedenheit der Beschäftigten.

Flexibilisierte »Menschenführung«

Zu den wichtigen Eigenschaften der sogenannten Ich-Unternehmer gehört nach dem HR-Konzept die Flexibilität. Man könne beispielsweise die Arbeitszeiten den »persönlichen Bedürfnissen anpassen«, etwa nur halb- oder vierteltags arbeiten, nur an bestimmten Tagen, nur zu bestimmten Tageszeiten, so wird geworben. Den Beschäftigten wird keine feste Arbeitszeit vorgeschrieben, die sprichwörtliche Stechuhr ist abgeschafft. Das wird öffentlich mit Werbebegriffen wie »Zeitsouveränität« und »Vertrauensarbeitszeit« präsentiert. Das klingt nach Freiheit.

In der internen HR-Sprache heißt dies jedoch »indirekte Personalsteuerung«. Denn gleichzeitig mit der Abschaffung der festen Arbeitszeiten und der Stechuhr wird die Arbeitsleistung genau gemessen und zwischen den Beschäftigten verglichen. Jedes Jahr z.B. wird ein vorher festgelegter Prozentsatz der Beschäftigten als »Low Performer« (Minder- bzw. Schlechtleister) ermittelt und aus dem Unternehmen gedrängt. Dagegen werden die »Talente« oder »Rising Stars« gefördert und dürfen aufsteigen – auch sie in gegenseitiger Konkurrenz.

Auf diese Weise führt die Entfernung der Stechuhr nicht zu einer je nach individuellen Bedürfnissen gestalteten Arbeitszeit, sondern zu offener und heimlicher Konkurrenz, zum Kampf jeder gegen jeden und zu einer potentiell ins Endlose ausgedehnten Arbeitszeit. Das kann für einzelne »Genies« in bestimmten Situationen und auf bestimmte Zeit schön sein. Aber als dauerhafte Normalsituation fördert das den Ellenbogenegoisten, den »Sozialkümmerling«, den arroganten Höchstleister, den gnadenlosen Mobber und Zyniker – und das Burnout.

Die Flexibilisierung gilt auch für die weiteren Arbeitsbedingungen, für Löhne, Gehälter und Sozialsysteme. So wird sie zum Gegenteil des Behaupteten, nämlich zu Unfreiheit. Das Ziel ist es, bei den Beschäftigten Maß an Selbstausbeutung und Unterwerfung zu erschließen, das sie bei gleichzeitiger Höchstleistung (vermutlich) ohne Störung des Betriebsablaufs ertragen, zumindest auf kürzere oder mittlere Sicht. Verschleiß ist einkalkuliert.

Diversity heißt Verschiedenartigkeit, Vielfalt. Individuen aus verschiedenen Kulturen, Ethnien, Ländern, mit unterschiedlichen Sprachen, Religionen und auch aus den verschiedenen Altersgruppen, Geschlechtern und sexuellen Orientierungen sollen in die Belegschaft einbezogen werden (Inclusion). Sie sollen alle die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben.

Die Forderung nach Diversity entstand in der Frauen- und Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre in den USA. Es ging vor allem um die öffentliche Anerkennung und Gleichberechtigung der Frauen und Schwarzen. Doch wie in anderen Bereichen auch wurde diese Forderung durch das HR-Konzept aufgenommen und pervertiert: »Die Wertschätzung der Vielfalt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dient dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens.«

Dieses Konzept reagiert auf die Erfahrung, daß die Dominanz eines Geschlechts, einer Ethnie usw. im Unternehmen auf die Dauer für Image und sichere Gewinnerwirtschaftung nicht gut ist. Ein einfaches Beispiel: In Stadtvierteln mit türkischen Bewohnern werden von »deutschen« Unternehmen verstärkt türkische Verkäuferinnen, Kassiererinnen, Bankangestellte und Filialleiter eingesetzt.

Dies soll allerdings nicht einfach so vor sich gehen und mit beruflichen Qualifikationen begründet werden. Vielmehr wird diese Entwicklung gesteuert. Das zeigt sich beispielsweise an der Frauenquote. Sie hat nichts mit Emanzipation zu tun, sondern soll angesichts eines durch die Frauenbewegung und vermehrte Berufswünsche gewachsenen Selbstbewußtseins die Herrschaft im Unternehmen sichern. Für die unteren Beschäftigtengruppen ist nämlich keine Frauenquote vorgesehen, nur für das Management. Die aufgestiegenen Frauen sollen die »Kultur« des privaten Gewinns nicht ändern, sondern optimieren, ihr neue »frauliche« Ressourcen erschließen. Auch bisher nicht genutzte Intelligenzpotentiale sollen abgeschöpft werden (Brain Drain, Abwanderung von Fachkräften).

Um den Beschäftigten das Unternehmensselbstbild aufzuzwingen, ist ein weiterer Bestandteil des HR-Konzeptes wichtig: Leadership, Führung. Laut Sattelberger sollen Konzerne »wieder lernen, in neuer Qualität zu führen«. Das entsprechende Führungspersonal nennt er »Menschenführer im betrieblichen Alltag«.

Die HR-Szene lobt Sattelberger überschwenglich: Er habe in der Telekom »harte Sanierungsmaßnahmen geräuschlos durchgesetzt«. Wenn das Management kostengünstige Entlassungen und Niedriglöhnerei knallhart realisieren und dabei möglichst jeden Widerstand der Beschäftigten und der Öffentlichkeit verhindern oder verschleiern kann: Dann ist das »Menschenführung« nach dem HR-Konzept.

Neuer Gesellschaftsvertrag

Jede Form, in der sich die Beschäftigten aus ihrer Vereinzelung lösen und sich zusammentun – unabhängige Gewerkschaften, Betriebsräte nach Betriebsverfassungsgesetz, selbständig organisierte Betriebsversammlungen – passen ebenso wie Streiks und Arbeitsrechte im Sinne der Menschenrechte nicht zum HR-Konzept. Im Vorzeigeunternehmen SAP zum Beispiel bedeutet das: Es gibt keine Tarifbindung, das Entlohnungs­system ist kompliziert, nicht transparent. Die Gehälter sind individuell, marktbezogen, abhängig von Leistung und der »richtigen Einstellung«. Die Leistung jedes Mitarbeiters wird immer in ­Relation zu der anderer bewertet, so daß ein dauernder Wettkampf stattfindet, in dem sich die »Arbeitsunternehmer« ständig gegenseitig steigern sollen. Trotzdem kann ihnen der hochbezahlte Unternehmensvorstand auch bei gleichbleibender Leistung jahrelange Nullrunden aufzwingen.

Die vereinzelten Lohnabhängigen als Unternehmer ihrer selbst sind folglich die zerrissensten Persönlichkeiten. Sie sollen die stärksten denkbaren gesellschaftlichen Gegensätze in sich vereinen: Sie sollen als Unternehmer die im Kapitalismus größtmögliche Freiheit praktizieren, während sie mit aufgezwungener Ideologie in Wirklichkeit widerstandslos unfrei sind und extrem ausgebeutet werden können. Wer gleichzeitig Arbeit»geber« und Arbeit»nehmer« sein soll oder will, wird auf die eine oder andere Weise verrückt.

Das führt mehrheitlich – unter der Oberfläche scheinbar funktionierender Arbeitsabläufe – langfristig zu Ausweichverhalten der verschiedensten Art, zu Lähmung, Desorientierung, moralischer Deformation, innerer Kündigung und zu Krankheiten – oder zum Widerstand. Der ist aber nur möglich, wenn die Beschäftigten ihre Vereinzelung durchbrechen können. Unter den von HR-Praktiken geprägten Betriebsverhältnissen ist das heute aber schwieriger denn je.

Die HR-Vertreter wollen das »System der Arbeit« umgestalten. »Die Personalmanager sind die Innovatoren im System Arbeit.« Und sie wollen noch mehr, nämlich einen »neuen Gesellschaftsvertrag«. Für eine solche Übereinkunft gibt es auch aus demokratischer Perspektive viele Gründe. Allerdings sind es in den Augen der HR-Vertreter nicht freie Bürger und organisierte Arbeiter, die den neuen Gesellschaftsvertrag gestalten dürfen. Vielmehr sollen auch hier »die Unternehmen«, also die Eigentümer und ihr Leitungspersonal, die Gesellschaft neu ordnen.

Dazu hieß es 2011 auf dem »ZukunftsForum Personal«: »Unternehmen als gesellschaftliche Akteure und Nutznießer sind gefordert, Bürgerpflichten zu erfüllen.« Sie verstehen sich somit als die neuen Bürger, treten an deren Stelle und definieren die Begriffe und Praktiken demagogisch neu. »Unternehmen müssen wichtige gesellschaftliche Anliegen wie Menschenrechte, Bildung, Migration, Armutsbekämpfung, Gesundheit und Chancenfairneß aufgreifen und aktiv Verträge und Bündnisse mit Politik und Zivilgesellschaft schließen.« Demokratische Politik (oder was davon durch das Wirken derselben Akteure übriggeblieben ist) soll nun ganz und endgültig ersetzt werden nach dem Motto »Der Staat sind wir«.

Einflußreiche Netzwerke

Human Resources als Wissenschaft und Profession wurde in den USA entwickelt. Vorstufen waren die Theorie der Industrial Labour Relations (Industrielle Arbeitsbeziehungen) aus der Roosevelt-Reformära und später die Theorie vom »Humankapitals« um die sogenannten Chicago Boys, des US-amerikanischen Ökonomen Milton Friedman. Aber erst die HR-Theorie dringt operativ in die Feinstrukturen der Persönlichkeit und des individuellen Verhaltens ein.

Die wichtigste Organisation ist die Society for Human Resource Management (Gesellschaft für Personalführung), die 1998 in den USA gegründet wurde und heute 250000 Mitglieder (Unternehmen, Beratungsfirmen, Professoren) in 140 Staaten hat. Die Ausweitung der HR-Praktiken ist eine der Ursachen dafür, daß, beginnend in den USA, in der »westlichen Wertegemeinschaft« der gewerkschaftliche Organisationsgrad gesunken ist und der größere Teil der »normal« und prekär Beschäftigten und der Arbeitslosen psychisch gelähmt und demoralisiert ist.

Auch in der Bundesrepublik organisiert sich die »HR-Szene«. Mehrere Verbände haben sich in der »HR-Alliance« zusammengeschlossen. Mitglieder sind u.a. Sattelbergers Initiative »Wege zur Selbst GmbH«, der Arbeitskreis Personalmarketing (dapm), der Berufsverband Quality Employer Branding (queb) und der Goinger Kreis. Im Vorstand agieren Vertreter der Konzerne Infineon und Deutsche Telekom sowie Professor Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability an der Hochschule Ludwigshafen.

Daneben bestehen die Internationale Gesellschaft für Diversity Management (idm), der Verein Charta der Vielfalt (1400 Unternehmen), die Verbände Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP, 2500 Mitglieder) sowie der Bundesverband der Personalmanager (BPM) mit 2400 Mitglieder. Konzerne, Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer und Anwaltskanzleien unterhalten zusätzlich eigene, interne HR-Arbeitskreise oder HR-Praxisgruppen. Die Lobbyorganisation European Roundtable of Industrialists (ERI, Europäischer Runder Tisch Industrieller) hat in Brüssel eine eigene Diversity-Initiative gegründet. 2009 haben die HR-Chefs der größten deutschen Konzerne unter Führung von Sattelberger den Thinktank für »Zukunftsfragen im System Arbeit« gegründet.

2002 rief der damalige Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) mit Sattelberger die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) ins leben, die dem Arbeitsministerium beigeordnet ist. Auch die Bertelsmann-Stiftung macht mit. Die jetzige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) berief Sattelberger 2012 zum »Themenbotschafter« der INQA für den Bereich Personalführung. Er hatte Furore gemacht, weil er als erster Personalchef eines DAX-Konzerns für eine Frauenquote (nur) in den Leitungsgremien eintrat. Das galt als »revolutionär«.

Alle wichtigen Unternehmen in Deutschland sind Mitglied von einer oder mehreren solcher Gruppierungen. Sie organisieren Konferenzen, Schulungen und Managermeetings. So offeriert die HR-Firma Management Meeting Compact Seminare unter dem Motto »Ein Tag unter Praktikern«. Dabei können HR-Manager sich austauschen, beispielsweise zum Thema »Umgang mit Low-Performern«. Diese Angebote wurden initiiert von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Anwaltskanzlei Beiten Burkhardt und der Deutsche Bahn AG.

Die HR-Alliance vergibt regelmäßig Auszeichnungen, so den »Employability Award für Unternehmertum im System Arbeit«. 2009 bekam den ersten Preis die Deutsche Bank für ihr konzernweites Programm »In eigener Sache: fit für die berufliche Zukunft«. Der zweite Preis ging an die Stadtwerke Düsseldorf für ihr Projekt »Gas geben«. Der dritte Preis ging an den Logistikdienstleister Dachser für »Change Management im deutsch-französischen Partnerschaftsmodell«. Weitere Preise sind die für die beste Anwerbungskampagne und das innovativste Personalmarketingprodukt. Der Goinger Kreis vergibt den Goinger Förderpreis. Häufig an Unternehmen, die Mitglieder in den genannten Verbänden sind: BMW, Bertelsmann, Deutsche Telekom, Deutsche Bahn, Deutsche Bank, Ernst&Young: Die neuen »Menschenführer« bestätigen und dopen sich gegenseitig.

Insbesondere an privaten Fachhochschulen wurden im letzten Jahrzehnt Lehrstühle für Human Resources eingerichtet, häufig als Stiftungsprofessuren von Konzernen. Bekannte Professoren sind Wolfgang Jäger (Hochschule Rhein-Main), Jutta Rump (Hochschule Ludwigshafen), Gerald Hüther (Universitäten Göttingen und Mannheim), Heinz Schuler (Universität Hohenheim), Heike Bruch (Universität St. Gallen), Dieter Frey (Universität München). Die Universität München bietet den Studiengang »Executive Master of HR Management« an.

Die HR-Szene veröffentlicht ihre Forschungen und Aktivitäten in den führenden US-Zeitschriften Cornell HR Review, Human Resource Management und Perspectives on Work. Im deutschsprachigen Raum sind dies die Zeitschriften HR Services, manage_HR, Personal, Personalmagazin, Personalführung, Personalmanager, Personal-Wirtschaft, PQ Personal Qualification, Wirtschaftspsychologie aktuell, Diversitas.

So hat sich, unbemerkt etwa von Gewerkschaften, ein wissenschaftlich-unternehmerisches Netzwerk herausgebildet, in dem Methoden der kapitalistischen Menschwerdung – Unterwerfung als Freiheit – nicht nur ausgeheckt, sondern in der Arbeitswelt umgesetzt werden. Dies deutet freilich auch auf die erweiterte Zwanghaftigkeit und somit Brüchigkeit dieser Art Kapitalismus hin.

Dieser Artikel entstand im Zusammenhang mit der gemeinsam mit Elmar Wigand für die Otto-Brenner-Stiftung erstellten Studie »Union Busting in Deutschland«, die im November 2013 erscheinen soll.
Werner Rügemer schrieb zuletzt an dieser Stelle am 15. Juli 2013 über die Privatisierung der JVA Hünfeld.

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Zum Thema  siehe auch die Aufarbeitungen aus der früheren Anti-Bertelsmann-Bewegung:

http://bertelsmannkritik.de/bildung.htm#rationalisierung
http://bertelsmannkritik.de/oekonomisierung.htm#ressourcenverwaltung


und das reichhaltige Material unter: http://www.arbeitenundleben.de/

Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

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