Dienstag, 5. November 2013

Hermann Lübbe: Die Welt, in der wir leben - Drei widerlegte Prognosen


Für die moderne Kunst hat wie kein anderer, Nietzsche dementierend, Ernst Gombrich die Selbsthistorisierungswirkungen des Avantgardismus beschrieben – unter Berufung auf seinen Lehrer Hans Tietze. Wer heute bereits von morgen sein will, ist übermorgen von gestern, und sein Werk gewinnt Dauer im «Museum of Modern Art». – Analoges gilt auch für die Industrie. Überall in Europa werden die alten Montanwelten technisch-industriell modernisiert. Der Himmel über der Ruhr ist schon seit einigen Jahrzehnten wieder blau, und während der Bergbau schrumpft, «expandiert das Bergbaumuseum» – so sagte es in Bochum ein Zechen-Experte. Und in den Museen verstaubt nichts. Die Zahl der Museumsbesucher entspricht in Europa alljährlich der Zahl der Landeseinwohner. Was suchen sie im Museum? Gemäss Nietzsche müsste es sich um zukunftsflüchtige Vergangenheitsnostalgiker handeln. In Wahrheit dient die expandierende kulturelle Vergangenheitsvergegenwärtigung der schwieriger gewordenen Selbstverständigung einer Epoche schrumpfender Gegenwart. Totalitarismusaffine Selbstbornierungstendenzen werden darüber gebrochen. Die historische Kontingenz eigener Gegenwartslagen wird im Verhältnis zu Anderen wie zu Früheren erfahrbar. Überdies wird damit gegenwärtiger, was unbeschadet seines Alters gerade nicht veraltet ist, vielmehr fortdauernd gilt. Klassik zum Beispiel ist ein Bestand dieser temporalen Charakteristik, und das kulturelle Gewicht der Klassik vergrössert sich überall modernisierungsabhängig.


Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

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